Schon als Student bin ich gerne in die Rolle des Nikolaus geschlüpft. Dabei lernte ich unter anderem mit Stab und Mitra umzugehen, was mir später als Abt von Nutzen sein sollte. Es machte mir Spaß, Kinder zu loben, sie zu ermutigen, neu anzufangen, und sie mit Süßigkeiten und anderen Kostbarkeiten zu beschenken.
Ihre Ehrfurcht vor dem heiligen Mann, ihr Staunen über sein Wissen, ihre ehrliche Freude über das Geschenk aus dem Sack – all das hat mir selber viel Freude gemacht.
Eine Begegnung mit einem Zweitklässler bleibt mir dabei unvergessen. Ich hatte aus meinem goldenen Buch vorgelesen, dass er ein guter Schüler sei, schon sehr schön Flöte spielen könne und auch sonst seinen Eltern viel Freude mache. Allerdings sei es nicht so schön, dass er immer wieder seine kleine Schwester ärgern würde.
Bei der Geschenkübergabe –-- der Bub hatte das kleine Päckchen schon fast in der Hand, fragte ich ihn: „Versprichst du mir, dass du in Zukunft nicht mehr so oft deine Schwester ärgern wirst?“ Seine prompte Antwort verblüffte mich: „Nimm dein Geschenk wieder mit, das will ich dir nicht versprechen!“
Es war eine eigenartige Situation. Ich wusste nicht recht, was ich auf diese ehrliche Antwort hin tun sollte. Die Eltern versuchten zu vermitteln, indem sie dem Buben zuredeten: „Das ist doch wichtig, dass du dich mit deiner Schwester gut verstehst. Versprich es doch dem Nikolaus und nimm dein Geschenk!“ Auch ich beschwichtigte: „Na ja, du kannst es ja einmal versuchen, wenn du es mir nicht versprechen willst, dann probiere es einfach einmal!“
Doch der Junge blieb bei seinem Entschluss, sodass ich das Geschenk wieder in den Sack zurücklegen musste und damit das Haus verließ. Es war ein eigenartiges Gefühl. Einerseits musste ich schmunzeln und fand es gut, dass der Bub so ehrlich war und einen so starken Willen hatte.
Andererseits tat es mir weh, dass er das Geschenk nicht angenommen hatte. Und schließlich war ich etwas wütend über meine eigene Dummheit: Wie konnte ich etwas von dem Kind verlangen, das dieses ehrlichen Herzens nicht versprechen konnte?
Vieles ging mir durch den Kopf und durchs Herz: Freilich können Geschenke als Belohnung dienen, sie können auch motivieren, an sich zu arbeiten. Aber zunächst einmal ist eines wichtig: dass sie bedingungslos von Herzen kommen!
Der Besuch des Nikolaus dient eben nicht dazu, Geschäfte zu machen und einen Vertrag abzuschließen nach dem Motto: Wenn du immer schön brav bist, dann wirst du beschenkt. Vielmehr ist der heilige Mann Abbild der vorbehaltslosen Liebe Gottes, wie eben Eltern ihre Kinder lieben nach dem Motto: Auch wenn du deine Schwester ärgerst, auch wenn du mich manchmal zur Weißglut treibst, bleibst du mein geliebtes Kind: „Weil ich dich liebe, beschenke ich dich.“
Erzbistum München und Freising
Abt Johannes Eckert
Abt der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs