„Wir basteln unseren Christbaumschmuck selbst, und zwar basteln wir Spinnen und Spinnweben“, erzählen mir Anna und Oleksander, die im Frühjahr aus der Ukraine geflüchtet sind. „Spinnen? Spinnweben?“ Wo ich zuerst einen Übersetzungsfehler vermutete, verbarg sich ein alter ukrainischer Brauch und eine wunderschöne Geschichte. Diese Geschichte war mit Irina und Oleksander mitgereist bis in ihre Regensburger Unterkunft - und kam so schließlich auch zu mir.
Die Geschichte erzählt von einer armen Witwe und ihren Kindern. Diese Familie lebte in einer kargen Hütte unter einer großen Pinie. Als aus einem Zapfen des alten Baumes eine junge Pinie wuchs, wurde diese gehegt und gepflegt, bis sie schließlich am Tag vor Weihnachten als Christbaum ins Haus geholt wurde. Die Aufregung war groß, nur leider besaß die Familie keinen Christbaumschmuck und keine schönen Dinge, um den Baum zu dekorieren. Traurig gingen die Kinder ins Bett, wissend, dass sie am nächsten Tag Weihnachten mit einem nackten Baum würden feiern müssen. Mit in der Hütte aber lebten auch viele Spinnen. Die Spinnen hörten das Weinen der Kinder und beschlossen, zu helfen. Still und leise kamen sie aus ihren Ecken, erklommen das Bäumchen und machten sich an die Arbeit. Die ganze Nacht waren sie fleißig und sie schmückten die Zweige über und über mit den schönsten Netzen und den feinsten Mustern, die man sich nur vorstellen kann. Und als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen, strahlte und glitzerte der Baum in seiner ganzen Pracht, silbrig-weiß und seidig glänzend. Die Kinder hüpften vor Begeisterung und ihre Mutter traute ihren Augen nicht. Mutter und Kinder feierten Weihnachten unter dem schönsten Christbaum, den sie je gesehen hatten. Und, so wird berichtet, sie waren von diesem Tag an nie mehr arm.
„Verstehst Du, warum wir Spinnen und Spinnweben basteln möchten?“, fragen mich Anna und Oleksander: „… wir haben ja auch nichts. Aber mit den Spinnen und ihren Netzen am Christbaum lassen wir das Glück in unsere Wohnung!“
Bistum Regensburg
Christina Engl
Pastoralreferentin im Referat Gemeindecaritas und Flüchtlingsbeauftragte