Ich mache mich auf den Weg ins Büro. Doch schon nach wenigen Kilometern stockt meine Fahrt: Die Straße ist halbseitig gesperrt und ich stehe vor einer roten Ampel. Mitten auf der Straße vor mir steht ein junger Mann. Seine orangefarbene Kleidung weist ihn als Straßenarbeiter aus. Er wechselt von Minute zu Minute von einem Bein auf das andere, blickt sich immer wieder um, als fürchte er, ich würde jeden Moment aus dem ersten Auto an der Ampel aussteigen und ihn wegen der ungeheuerlichen Verzögerung anschreien. Natürlich tue ich es nicht. Ich bleibe im Auto sitzen und meine Gedanken fangen ganz von selbst an zu kreisen: Sollte ich umdrehen und einen Umweg in Kauf nehmen, um schneller im Büro zu sein? Ich spiele die Wegalternativen durch und rechne den möglichen Zeitgewinn aus. In der Zwischenzeit stehen weitere Autos hinter mir. Minuten vergehen und mein Blick fällt auf das abgesperrte Stück Straße vor mir. Weitere Arbeiter sind mit Traktor und schwerem Gerät unterwegs und fällen einige Bäume, die offensichtlich gefährlich angeknackst waren.
„Wie gut!“, denke ich mir, „dass diese Gefahrenstellen bearbeitet werden und ich hoffen kann, dass keiner der Bäume auf mein Autodach fällt.“ Weitere Minuten vergehen. Da kommen mir auf einmal meine beiden Enkel Paul und Gabriel in den Sinn. Welche Freude sie jetzt hätten und mit welchem Interesse sie jetzt bei mir im Auto sitzen würden, um den Baumfällarbeiten mit den Arbeitern und all den großen Maschinen zusehen. Sie wüssten im Unterschied zu mir genau, wie die Geräte heißen, mit denen die Arbeiter Schweres leisten. Und ich bin sicher, den beiden würde die Zeit weder lang noch langweilig werden. Begeistert würden sie die unerwartete Chance genießen, bei etwas Großartigem dabei zu sein!
Fast hätte ich es nicht bemerkt, aber der junge Mann springt plötzlich zur Ampel vor mir und stellt die Automatik an. „Natürlich hat erst die Gegenfahrbahn grün!“ stelle ich beim Vorbeifahren der Autos fest und spüre keinerlei Aufregung. Im Gegenteil: Die ungeplante Unterbrechung hat mich seltsam ruhig gemacht. Als die Ampel für mich auf grün umschaltet, fahre ich an den gefällten Baumstämmen, den Arbeitern und den schweren Geräten vorbei und muss schmunzeln: Wie schön es doch sein kann, mich nur einen Moment wie ein Kind an etwas Unerwartetem zu erfreuen. Eine wahrhaft produktive Verlangsamung und Unter-Brechung in (m)einem Alltag voller Hektik, der oft nur von der Uhr bestimmt zu sein scheint. Jeden Tag ein wenig davon: Das wäre doch was!
Bistum Eichstätt
Claudia Schäble
zuständig für die schulische Ausbildung pastoraler Mitarbeiter in der Schulabteilung der Diözese Eichstätt