„Wisst ihr noch, als Frau Müller die Kamera nicht anbekam und Patrick einfach den Unterricht übernommen hat?“. Alisa grinst etwas unsicher in meine Richtung. Ob sie das wohl über meine Kollegin sagen darf? Aber die anderen prusten schon los und auch ich lächle. Es ist Ende Juli, mein Schuljahr als Religionslehrerin in der dritten Klasse geht zu Ende. Ein Schuljahr, das durch Lockdowns und unterschiedlichste Unterrichtskonstellationen geprägt war. Die Kinder sind gezeichnet, das muss man ehrlich sagen. Soziale Isolation, Unsicherheit, ständig wechselnde Bedingungen und Beschränkungen. Der Kinderschutzbund mahnt nicht ohne Grund, dass die Kinder die Pandemie-Verlierer sein werden.
Aber daran denke ich heute nicht. Heute baden wir in positiven Erinnerungen. Schöne, lustige und stärkende Geschichten tragen wir zusammen und legen sie in unseren Schatzkoffer. „Am schönsten waren die Ausflüge, wo wir mit Mülltüten den Schneehügel runtergesaust sind!“ berichtet Carla aus dem Alltag der Notbetreuung im Januar. Die Kinder, die dabei waren, erzählen von Zusammenstößen und bauschen die erlittenen Blessuren zu großen Kriegsverletzungen auf. Andere sind stolz darauf, dass sie ihren kleineren Geschwistern zu Hause geholfen haben oder schwärmen von ihren Haustieren. Ein paar der Jungen gewähren uns Einblicke in ihre gemeinsam erlebten Abenteuer beim Online-Gaming.
„Weißt du noch, Frau Kaschke…“, sagt da auf einmal Michael, ein Junge, dem es schwerfällt, Gefühle angemessen auszudrücken und der deshalb keinen einfachen Stand in der Klasse hat. „Weißt du noch, als ich dem Wolf meine Jacke umgelegt habe?“ Mit leuchtenden Augen erinnert er sich daran, wie er sich in einem Rollenspiel im Wechselunterricht besonders empathisch verhalten hatte. Erwartungsvoll sieht er nun seine Mitschüler:innen und mich an. Alle nicken bestätigend. Michael ist glücklich. Da ist etwas im Raum. Eine feierliche Stimmung. Dieser Moment ist für uns alle von Bedeutung.
Während die Kinder ihre Erinnerungsschätze malen und mit Goldpapier verzieren, denke ich darüber nach, wie sehr wir von ihnen lernen können. Das Schuljahr war bestimmt von Chaos und mehr als erschwerten Lernbedingungen. Über die Folgen muss an anderer Stelle ernsthaft nachgedacht werden. Aber wie fähig, wie resilient sind diese Kinder, wenn sie so viele schöne Erinnerungen aus dieser Zeit zusammentragen können und sich damit gegenseitig beschenken und bestärken!
Den Schatzkoffer wollten sie natürlich noch ihrer Klassenlehrerin zeigen, bevor sie die Bilder dann mit nach Hause nahmen. Ich hoffe, dass sie dort einen Platz gefunden haben und dass sie das Gold daran erinnert, wie viel Wertvolles es in ihrem Leben gibt und wie wertvoll sie selbst sind.
Lasset die Kinder zu uns kommen. Hören wir ihnen zu, dann können wir lernen, empfindsam für die Goldspuren zu werden und in dem uns umgebenden Dunkel auch die Lichtstrahlen zu entdecken. Licht, welches uns von einem Kind entgegenkommt.
Bistum Augsburg
Dr. Daniela Kaschke
Referentin im diözesanen Exerzitienhaus St. Paulus in Leitershofen