In meiner Kinder- und Jugendzeit habe ich Gitarre spielen lernen dürfen. Meine erste Gitarre war ein Geschenk meiner Eltern. Es gibt sicher wertvollere Instrumente, aber an diesem hänge ich am meisten. Zahlreiche Schrammen zeugen davon, wie oft ich auf ihr gespielt habe und wie oft ich sie mit auf Fahrten und Reisen nahm.
Pfleglich bin ich nicht mit ihr umgegangen, aber im Laufe der Jahre war mir stets wichtig, dass sie gut in Schuss gehalten wird. Vor allem ist wichtig, dass ihr ein- bis zweimal im Jahr neue Saiten aufgezogen werden. Im Lauf der Wochen und Monate klingen Saiten dumpf, wenn sie nicht durch das viele Spielen gleich ganz kaputtgehen.
Neue Saiten machen Freude
Es ist immer eine etwas mühevolle Arbeit, die etwas Fingerspitzengefühl erfordert, doch der Aufwand lohnt sich: Die Gitarre klingt tatsächlich wieder wie neu. Dann kann es wieder losgehen mit dem Spielen, besonders wie es in der früheren Einheitsübersetzung im Psalm 33 hieß: „Greift voll in die Saiten und jubelt laut.“(Ps 33,3).
Musizieren macht richtig Freude, und es ist für mich immer ein Mittel, um positive wie auch negative Stimmungen zu entladen. Dazu gehören für mich das feine, sanfte Spiel ebenso wie das wilde Rocken. Mit neuen Saiten sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Wenn man jedoch bei Menschen sagt, es werden neue Saiten aufgezogen, dann hat das oft einen negativen Beigeschmack. Meistens sagt das ein neuer Chef oder eine neue Chefin, wenn er oder sie glaubt, es habe bisher ein gewisser Schlendrian geherrscht.
Oder Eltern sagen es, wenn sie merken, dass die bisherige Erziehung zu laissezfaire war und jetzt mehr Strenge herrschen muss. Das weckt bei Mitarbeitenden oder bei den Kindern Gefühle der Angst, die vielleicht sogar durchaus beabsichtigt sind. Ich möchte aber die neuen Saiten durchweg positiv verstanden wissen. Neue Saiten machen Freude! Neue Saiten lassen das Spiel wieder hell und schön klingen! Mit neuen Saiten ist das Instrument wie neu.
Wenn wir in den kommenden Wochen auf die Ankunft Gottes in der Welt warten, dann warten wir auf einen, der neue Saiten aufgezogen hat. Nicht, um uns Angst zu machen, sondern um uns eine Freude und ein Angebot zu machen: Ich gehe den Weg des Lebens mit dir. In Jesus kommt der Immanuel, der Gott-mit-uns.
Ein Gott, der sich selbst klein macht, sich mit den Menschen, seinen Geschöpfen, auf eine Stufe stellt. Der die Welt in seiner Geburt erneuert hat, durch die Liebe, der er uns in seinem Sohn Jesus Christus zeigt. Das sind ganz neue Saiten, die uns in den alten Psalm einstimmen lassen: „Lobt ihn mit Trommel und Reigentanz, lobt ihn mit Saiten und Flöte!“ (Psalm 150,4)
Erzbistum München und Freising
Stephan Fischbacher
Pfarrer, Leiter der Pfarrverbände Waakirchen und Gmund-Bad Wiessee